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Donnerstag, 2. Dezember 2004
Stress auf Sendung
In Live-Situationen - auch wenn man schon einige Erfahrungen gesammelt und damit eine gewisse Souveränität und Lockerheit in der Konfrontation mit dem Publikum gewonnen hat - ist der Übergang zur "Condition Stress" nur ein kleiner, ein schnell und reptilienhaft unkontrollierbar vollzogener. Dieser Zustand, in dem der Körper die besondere Lage wahrnimmt und in Hab-Acht-Stellung geht, eigentlich um adäquat auf potenzielle Angriffe natürlicher Feinde reagieren zu können, ist für zivile Situationen vor Publikum natürlich ein Overkill, der sich auch schon mal ungünstig auswirkt. Nämlich dann, wenn der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsapparat übermäßig auf Aufmerksamkeit gedrillt ist, so dass man nicht mehr locker und flexibel auf gespeicherte Informationen und Kreativitätspotenziale zugreifen kann. Dadurch werden mitunter die simpelsten Ereignisse zu unbeherrschbaren Komplikationen.

Letzte Woche hatte ich im Rahmen einer Vortragsveranstaltung die Einführung und Vorstellung des Referenten und die Leitung des ganzen Ablaufes mit anschließender Moderation der öffentlichen Diskussion zu übernehmen - ein kleine Herausforderung, durchaus, aber ich habe schon existentiellere Herausforderungen in der Öffentlichkeit gehabt und Veranstaltungen wie diese mittlerweile auch schon im Dutzend gut über die Bühne gebracht. Ich war gut vorbereitet, hatte kurz zuvor mit dem Referenten telefoniert, und stand mit meinen geplanten Einführungsworten auf festem Boden. Entsprechend gut ließ sich die Sache auch an, bis auf eine kleine Irritation durch die üblichen querulanten älteren Mitbürger, die mich aufforderten, doch bitte das Mikrofon zu benutzen. Aber dadurch kam ich zum Glück nicht ins Stolpern. Und dann war es soweit, den Referenten aufzufordern, das Wort zu ergreifen, wobei man in einer kleinen Überleitung üblicherweise seinen Namen und den Vortragstitel erwähnt und ein paar Worte zu dem Thema verliert. Und eben den exakten Wortlaut des Vortragstitels wusste ich nicht mehr. Ich hatte seit Tagen alles vorbereitet, nur nicht mehr auf den Titel geschaut. Mein drohendes Versagen wurde mir unmittelbar bewusst, die Hormonausschüttung kam in einer milliardstel Sekunde auf Höchsttouren, es gelang mir, scheinbar locker ironisch über diesen Umstand hinwegzuspielen - aber ich bekam die Stressbremse nicht mehr gelöst. Die letzten anderthalb Minuten wurden zur unendlichen, kraftzehrenden Komplikation, dabei war überhaupt nichts mehr zu leisten, und während der Referent schon zu reden begonnen hatte, brauchte ich noch Minuten, um meine Hochleistungsbereitschaft wieder runterzufahren. Glücklicherweise war dies alles in allem nur ein klitzekleiner Stressvorfall.

Stressiger war die Situation vor einigen Wochen als DJ in unvertrauter Umgebung. Ich haderte noch ein wenig mit der unbekannten Musikanlage, als plötzlich jemand an mich herantrat, etwas Blödes an der aufgelegten Musik zu mäkeln hatte und mich so perplex machte, dass ich völlig aus dem Tritt kam. Ich regelte fatalerweise die Lautstärke runter und fragte "Waaas?", viel zu laut, so dass alle auf der Tanzfläche zu mir schauten. Um das reguläre Geschehen wieder in Gang zu bringen, startete ich hektisch das nächste Stück, das allerdings zuvor schon einmal gelaufen war, denn ich hatte die CD noch nicht gewechselt. Meine Hände bekamen das unkontrollierte Zittern. Ab da galt nur noch die Maxime: "NOTPROGRAMM!!!" Irgendwie das Schiff vorm Absaufen retten, und das mit beschränkter Wahrnehmungsfähigkeit, denn der Stress und die Peinlichkeit ließen mich keinen klaren Gedanken fassen.
Es dauerte eine Stunde, bis ich mit meinem Auflegeprogramm wieder einigermaßen auf Stand war, und dann noch eine weitere, um mich wieder zu beruhigen. In den nächsten Wochen habe ich vermieden, an diese Situation zu denken, weil mich der Verlust der Kontrolle so erschreckt hat. Aus der Distanz ist das mittlerweile nichts als ein amüsantes Kinkerlitzchen.

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