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Sonntag, 6. Februar 2011
Tätigsein
Da ist dieser Hängeschrank in der Küche. Vielleicht gibt es eine korrektere Bezeichnung für dieses Möbel. Das ließe sich googeln oder in Möbelkatalogen nachschlagen – aber geschenkt. Jedenfalls hat dieser Hängeschrank locker seine fünfzehn Jahre. Und in den letzten Wochen löste sich das obere Scharnier der Tür immer mehr aus der Seitenwand, an der es befestigt ist. Es ist ja nur in den vom skandinavischen Möbelhaus vorgegebenen Löchern verschraubt. Und neulich – beim Öffnen der Tür ruckelten die Schrauben immer mehr aus dem holzähnlichen Substrat heraus – brachen sie sich frei, das Scharnier hing in der Luft, die Tür ward nur noch vom unteren Gegenpart gehalten. Hätte ich nicht den Schraubenzieher schon in Griffweite parat liegen gehabt, so hätte ich die Tür sich selbst überlassen müssen, die vermittels der Schwerkraft und ihres Gewichts das untere Scharnier mit Sicherheit verbogen oder herausgebrochen und überhaupt ein ziemliches Malör angerichtet hätte, da ja auf der Herdplatte unter dem Schrank auch noch die mit Wasser zum Aufweichen gefüllte schmutzige Pfanne und drumherum allerlei Hausrat und Flaschen und Lebensmittel sich befanden. Ich konnte also auch die Schrauben des unteren Scharniers lösen und die Tür im Ganzen und ohne weiteren Schaden anzurichten, abnehmen. Abgesehen von der Tatsache, dass sich das obere Scharnier nun nicht mehr an der vorgesehenen Stelle des Schrankkorpus verschrauben ließ, da dessen Verankerung in der Tür einen festen Platz einnimmt und somit zwingend genau die Stelle an der Seitenwand zum Befestigen erfordert, die durch das Herausbrechen nun porös war und in der bisherigen Form definitiv keinen Halt mehr bot.

Was hat sich der Skandinavier - der ja immerhin vor tausend Jahren in selbstgezimmerten Holzschiffen die Küsten Grönlands und Nordamerikas entlangschipperte und aus dem Nichts Kolonien schuf, dessen Bewohner sich für einige Generationen von Baumrinde und Nagetierfellen ernährten - für diesen Fall gedacht? Ich malte mir seinen Erfindungsreichtum aus, jedoch geriet mir keine Phantasie so, dass sie eine Lösung für mein Problem der ausgeleierten Scharniervorbohrungen bot.
Ich frug meinen Schwager, nämlich den, der aus einem alten Puch-Mofa und einer defekten Mikrowelle eine kraftstoffbetriebene Hifi-Anlage bastelt. Er hatte drei beeindruckend plausible, aber durchaus handwerkliches Know-How erfordernde Vorschläge. Unter anderem erzählte er von einer Knetmasse, die ein bekannter Klebstoffhersteller vertreibt. Dieses Material lasse sich in Portionen abschneiden, verarbeiten und härte dann innerhalb einer halben Stunde betonartig aus. Darein solle ich, im noch frischen und weichen Zustand, das Scharnier (vorerst ohne Tür) festschrauben.
Wenige Tage später empfahl mir der für dieses Haus zuständige Handwerker das Gleiche. Und das erzeugte in mir dieses epistemologische Schaudern, dass die Gleichzeitigkeit heterogener Lebenswelten immer wieder bereithält. Aus welchen abstrusen Männer- und Handwerkermagazinen kannten diese Leute jenes Zeug, das ihnen bei handwerklichen Fragen dieser Art so selbstverständlich einfällt wie anderen Leuten beim Begriff „Sättigungsbeilage“ die Kartoffel? Wie ist ein solches Leben, in dem Heimwerkerkataloge und Schraubersmalltalk zum unhinterfragten Hintergrundrauschen gehören?
Gut, sicher wird die eine Hälfte meiner zwei Leser über meine Ahnungslosigkeit den Kopf schütteln. Dieselbe räume ich unter Berufung auf Sokrates freimütig ein, - gebe aber, ebenfalls mit Rekurs auf den antiken Kauz, zu bedenken, dass Baumarktgalanterie wie viele andere Kontingenzen des Alltags nicht zu den Dingen gehört, deren man wirklich bedarf.

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